Forschungsverbund

Zielsetzung

Die Energiewende als Transformationsprozess zu einem nachhaltigen Ener­giesystem mit den Ziel­set­zun­gen Um­weltverträglichkeit, Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und gesellschaftliche Ak­zep­tanz stellt uns vor neue Chancen und Herausforderungen. Eine geeignete Gestaltung dieses Transformationsprozesses kann durch die Systemanalyse wesentlich unterstützt werden. In bisherigen Ansätzen werden hier allerdings häufig nur technische, ökonomische und ökologische Aspekte beachtet. So­zi­al­wis­sen­schaft­liche Fragestellungen werden i. d. R. nicht integriert betrachtet.

Vor diesem Hintergrund bündelt der For­schungsverbund STRise seine für Deutschland einzigartige Kompetenz und langjährige Erfahrung in der inter- und trans­dis­zi­pli­nä­ren Systemforschung am Standort Stuttgart und macht sie für die Erforschung und Ausgestaltung der Ener­gie­wen­de verfügbar. STRise ermöglicht neue Ansätze zur Analyse und Mo­­del­­lierung bei stark stei­gender Systemkomplexität und zunehmender Interaktion im sozio-technisch-öko­no­­mi­­schen Umfeld.

Arbeitsgebiet

Grundlage der Arbeit von STRise ist ein weiter gefasstes systemisches Verständnis für die zunehmende Kom­­ple­xi­tät des Energiesystems und dessen Wechselwirkungen. Dabei sol­len alle Dimensionen einer nach­hal­tigen Entwicklung eben­so gesamthaft betrachtet wer­den wie die Verknüpfung der re­gio­nalen Ebe­ne mit dem nationalen und inter­na­tio­na­len Umfeld.

 

 

 

Die Gestaltung des Wandels wird in Baden-Württemberg stärker als in anderen Bundesländern vor­an­ge­trie­ben: mit dem Klimaschutzgesetz und dem Integrierten Energie- und Klimaschutzkonzept (IEKK), der Ini­tiative Wis­senschaft für Nachhaltigkeit sowie der Innovations- und Technologietransferpolitik. Damit ist das Umfeld für eine Initiative zu systemanalytischen Arbeiten zur Gestaltung und Un­ter­stüt­zung der Energiewende gerade in Stuttgart gün­stig und glaubwürdig.

Vorgehensweise und Arbeitsprogramm

STRise setzt auf einer breiten Wissensbasis auf und konzentriert sich auf For­schungs­felder, die für den dauerhaften Erfolg der Energiewende von zentraler Bedeutung sind, aber bis­her nur unzureichend bearbeitet wurden. Konkret sollen die Arbeiten in vier eng miteinander verwobenen Themenclustern erfolgen:

 

 

Akteure der Energiewende – sozio-techno-ökonomische Fragestellungen

Die Energiewende kann in einer offenen, demokratischen Gesellschaft nur erfolgreich sein, wenn sie als Zielsetzung und in ihrer Umsetzung von Akzeptanz in der Bevölkerung getragen wird. Diese muss sich beweisen, wenn Bürgerinnen und Bürger die Errichtung von Infrastruktur- oder Er­zeu­gungs­an­­la­gen in ihrem Lebensumfeld dulden müssen oder wenn der großflächige Ausbau von erneuerbaren Ener­­gien wie Windparks oder Speicheranlagen ökologische oder ästhetische Nebenwirkungen hat. Es ist daher hilfreich, mögliche Belastungen der grundsätzlich vorhandenen Akzeptanz zu er­fas­sen und die sozialen Wirkungen der Energiewende sowie die daraus resultierenden Fragen der Ver­tei­lungs­ge­rech­tigkeit zu analysieren. Bei der Beobachtung der Akzeptanzentwicklung fallen auch die star­ken Di­ver­genzen bei der lokalen Akzeptanz von Ansiedelungsprojekten (z. B. Wind­ener­gie) auf. Um hier einen Schritt weiter zu kommen, müssen die gängigen Bürgerbeteiligungsverfahren einer re­gio­nal- und themenspezifischen Bewertung und Optimierung zugeführt werden.

Die Energiewende erfordert aber nicht nur die passive Akzeptanz, sondern darüber hinaus die ak­ti­ve Ko­ope­ration der Bürgerinnen und Bürger. Diese ist unverzichtbar bei der Effizienzentwicklung in den Haus­halten, beim Umgang mit einer fluktuierenden Stromerzeugung, beim Wandel der Mobilitätsstrukturen und beim Ausbau der dezentralen Erzeugung mit den Haushalten als Prosumer. Um hier mit politischen Maßnahmen effizient eingreifen zu können, müssen Anreizstrukturen im Hinblick auf Ihre Wirkungsmechanismen analysiert und zielgerichtet verbessert werden. Dabei sollten auch die regionalstrukturell und soziokulturell fördernden und hemmenden Faktoren identifiziert wie auch die Effek­ti­vi­tät und Effizienz kommunikativer Maßnahmen untersucht werden.

Organisationen, wie z. B. Unternehmen, Energiegenossenschaften, Verbände, NGOs, gestalten das Ge­­schehen in der Energiewende wesentlich mit. Je nach ihrer Herkunft und ihrer Organisationsform haben diese Akteure aber ganz unterschiedliche Hand­lungs­logiken und Strategien. Besonders für Schlüsselsektoren der Transformation soll­ten die zentralen Akteure in Baden-Württemberg analysiert und mögliche Veränderungen der Ak­teurs­­strategien vor dem Hintergrund der Veränderung der Rahmenbedingungen durch die Ener­gie­wen­­de analysiert werden. Daraus könnten Schlussfolgerungen für die Effekte von politischen Steu­e­rungs­­maßnahmen auf verschiedene Akteure gezogen und die Konsequenzen für die Energiewende in Ba­­den-Württemberg einschließlich der regionalstrukturellen Verteilungseffekte abgeschätzt werden.

Die Energiewende fordert breit getragene und auf einander abgestimmte Entscheidungen und Um­set­­zungsmaßnahmen nicht nur auf Bundes- und Landesebene, sondern insbesondere auch in Städten und Gemeinden und lokalen Akteursgruppen. Sie erfordert also eine wirkungsvolle Mehrebenen-Gover­­nance. Voraussetzungen und Risiken für das Handeln dieser Netz­wer­ke im Sinne der Energiewende könnten besser verstanden werden, indem die Kom­mu­ni­ka­tions­for­men (In­formations-, Dialog- und Beteiligungsverfahren) von Kommunen bzw. Verbünden sy­ste­ma­tisch er­fasst und bewertet werden.

Weiterentwicklung des Energiesystems

Die Forschungsarbeiten zielen zum einen auf modellgestützte Analysen zur Untersuchung und Bewertung alternativer Optionen in allen relevanten Bereichen. Hierbei sollen jeweils ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Wir­­kungen sowie Umsetzungsrisiken und ‑hemmnisse berücksichtigt und integrativ bewertet werden. Für den weiteren Transformationsprozess werden so möglichst effiziente und robuste Strategien zur Gestaltung des Energiesystems entwickelt. Die Analysen adressieren somit zentrale Fragen der Trans­for­ma­tion in allen Sektoren des Energiesystems, die in bisherigen Konzepten, wie z. B. dem Energiekonzept der Bundesregierung oder dem Integrierten Energie‑ und Klimaschutzkonzept des Landes Baden-Württemberg (IEKK) offen geblieben oder noch nicht effizient adressiert sind.

Ein weiteres Ziel der Analysen ist die Ermittlung der Ressourcennutzungseffizienz zukünftiger Stra­te­­gi­en an­hand ausgewählter wichtiger Ressourcen mit physischer Knappheit und relevanten öko­lo­gi­schen Aus­wir­kungen. Dabei soll der Rohstoffaufwand und die Flächeninanspruchnahme un­ter­schied­li­cher Aus­bau­strategien vergleichend untersucht werden.

Die Transformation des Energiesystems kann für regionale Räume, wie z. B. Kommunen oder Bundesländer und auch für Gesamtdeutschland, nicht isoliert geplant und durch­geführt werden. Wesentliche Rand­be­din­gun­gen wer­den durch die Energiewende in Deutsch­land und Europa, die weltweite Einbindung und den globalen Klimaschutz mit dem hieraus resultierenden Aus‑ und Umbau von Infrastrukturen für Erzeugung, Spei­­che­­rung, Transport und Verteilung sowie die Nut­zung von Energie gesetzt.

Hier sind speziell auch vielfältige Interdependenzen mit den technisch-strukturellen, politischen, wirt­schaft­­li­chen und gesellschaftlichen Entwicklungen in den Nachbarländern zu berücksichtigen. Ein weiteres Ziel des For­schungs­­clu­sters ist es, solche Wechselwirkungen zwischen Maßnahmen sowie Ausbaupfaden auf kommunaler, Lan­des­­‑ und Bundesebe­ne und Maßnahmen und anderen Einflussfaktoren auf nationaler, europäischer bis hin zur glo­ba­len Ebe­ne umfassend zu beleuchten. Für die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr sollen dabei spe­zi­­fi­sche Analysen Aufschluss über die Wirkung von techno-ökonomischen, strukturellen, wie auch ge­sell­­schaft­lichen und ökologischen Randbedingungen auf den Erfolg der Energiewende in Deutschland und Europa, aber auch in Baden-Würt­tem­berg, liefern.

Dabei sollen die Arbeiten von STRise auch dazu dienen, Baden-Württemberg als Leitregion für die Energiewende weiterzuentwickeln. Dies ist zwangs­läu­fig gleichzeitig mit einer internationalen Betrachtungsebene verbunden. Neben der Einbettung in den glo­balen ener­gie­wirt­schaft­lichen Kontext müssen Informationen über die Dynamik von Märkten und zur politischen Agenda ein­bezogen werden. Dazu soll z. B. für ausgewählte Länder und Regionen ein in­ter­na­tionales Ener­gie­wen­de-Mo­nitoring durchgeführt werden. Ziel ist es, frühzeitig relevante Zu­kunfts­märk­te und Benchmarks für die heimische Wirtschaft zu identifizieren. Deshalb wird in diesem The­men­feld eine enge Zusammenarbeit mit einschlägigen Institutionen und mit Branchenverbänden angestrebt. Gleichzeitig werden best prac­tices im Ausland zu energiewenderelevanten Themen aufgezeigt und die Über­tragbarkeit auf Deutschland und Baden-Würt­temberg geprüft.

Operatives Systemmanagement

Die unter den Schlagwörtern Smart Grids und Smart Energy ent­wic­kel­ten Sy­steme zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass die verschiedenen Akteure im Energiesystem autonom interagieren und somit die Erzeugungs- und Nachfrageseite sektorübergreifend mit der vorhandenen Infrastruktur permanent kommuniziert. Dabei spielen neben der In­te­gra­tion fluktuierender erneuerbarer Erzeugung vor allem auch das Nachfrageverhalten der Nutzer und Mög­lichkeiten zum Lastmanagement eine bedeutende Rolle. Hierfür sollen auf Basis von For­schungs­ar­beiten neue, intelligente Konzepte und Algorithmen entwickelt werden, wie solche Sy­ste­me ef­fi­zi­ent gesteuert werden können, alle vor­han­denen Effizienz- und Flexibilitätspotentiale ein­schließ­lich Last­management optimal genutzt wer­den können und auch das Verbraucherverhalten adä­quat in­te­griert werden kann. Dabei geht es auch um die adä­quate, effiziente und sichere Integration in das zentrale Ener­giesystem. Darüber hinaus sind relevante Zielkriterien auch in der ökologischen und sozialen Dimension zu berücksichtigen.

Neben der Integration der Gebäudeenergieversorgung in Industrie, Gewerbe und im Wohnbereich spielt hier auch die Integration intelligenter Fertigungssteuerungen unter dem Stichwort „Indu­strie 4.0“ eine wesentliche Rolle. Die Entwicklung der hierfür notwendigen Konzepte und Verfahren stellt einen be­deutenden Baustein für die Umsetzung der Energiewende dar, weil die Umstellung des Ener­gie­sy­stems auf einen hohen Anteil erneuerbarer Energien sowie effiziente Technologien wie Kraft-Wärme-Kopplung eine verstärkte Dezentralisierung erfordern.

Wirkungen und Chancen

Die Energiewende ist mit Wirkungen im Wirtschaftssystem verbunden, die z. T. weit über das Ener­gie­system hinaus reichen, bislang aber nur punktuell analysiert wurden. Dies gilt insbesondere für Verteilungseffekte, die für die Akzeptanz und da­­mit den Erfolg oder Misserfolg der Energiewende von großer Bedeutung sind. Sie ergeben sich nicht nur aus der Veränderung von Wertschöpfungs- und Beschäftigungsstrukturen, sondern auch durch neue Ak­teurskonstellationen. So sehen sich etablierte Un­ter­nehmen Neu- und Quereinsteigern mit neuen Tech­nologien und Geschäftsmodellen gegenüber und reagieren darauf. Dies gilt sowohl innerhalb einzelner Branchen als auch bran­chen­über­greifend und hat letztlich auch Auswirkungen darauf, in welche Bereiche künf­tig in­vestives Ka­pi­tal fließt. Darüber hinaus umfasst dies eine regionale Komponente. Und schließlich sind sozio-ökonomische Im­pli­ka­tionen zu berücksichtigen. Verschiedene Akteure, speziell private Haushalte und Investoren, aber auch Unternehmen haben oft keine rein ökonomisch geprägten Präferenzen. Im Bereich der privaten Haushalte sind auch Aspekte der sozialen Gerechtigkeit und ggf. Energiearmut zu beachten. Gerade in diesem Bereich ist es deshalb er­­forderlich, ein Bewertungsraster zu entwickeln, um Fehl­entwicklungen vorzubeugen und drohende Ver­tei­lungs­(un)­gerechtigkeiten besser im Vorfeld erkennen und vermeiden zu können.

Die Energiewende ist ein Innovationstreiber par excellence. In Deutschland und Baden-Württemberg kann eine ver­stärk­te In­no­va­tionstätigkeit nicht nur die heimische Wirtschaft erheblich stärken, sondern auch auf die Welt­wirtschaft ausstrahlen. Allerdings ergeben sich für die gezielte Stimulation von Innovationen bis­­her einige grundsätzliche Probleme, weil die klassischen Bewertungskriterien eher in einer sehr frü­hen Phase von Innovationen ansetzen. Die ent­schei­den­­de Frage „Wie kommt man mit einer guten Idee in den Markt?“ ist zwar Gegenstand des Inno­va­ti­ons­­managements in Unternehmen, eine Übertragbarkeit auf Branchen oder die gesamte Wirtschaft ist aber schwierig, weil geeignete Diffusionsindikatoren, allgemeine Kriterien für erfolgreiche In­no­va­ti­ons­biographien usw. fehlen. Erfolg oder Misserfolg können deshalb in der Regel nur an Fall­bei­spie­len festgemacht werden, die gleichwohl auch interessante Spin-offs zutage fördern. Eine Verbreiterung der Wissensbasis und ein ziel­ge­rich­te­tes Innovationsmanagement in Energiesystemen können daher erheblich dazu beitragen, in der rich­tigen Phase des Innovationsprozesses geeignete Impulse zu setzen.

Die Kenntnis von Chancen und Risiken bildet die Grundlage für politische Entscheidungen. Dies gilt für die Ver­stärkung und Umsetzung von Chancen ebenso wie für die Vermeidung von Risiken oder das Ab­­fe­dern negativer Entwicklungen. Um eine geeignete Steuerung des Energiewende-Prozesses mittels po­li­ti­scher Maß­nahmen zu ermöglichen und andererseits der Innovationskraft im Wettbewerb ausreichend Spielraum zur Entfaltung zu ermöglichen, bedarf es einer systematischen Erfassung be­reits ergriffener Maß­nah­men und ihrer Wirkungen, um daraus Empfehlungen für eine er­folg­rei­che Wei­terentwicklung des In­strumentenmixes ableiten zu können. Hier spielt u. a. die Effektivität von Maß­nahmen eine Rolle. Gleich­zeitig müssen Maßnahmen effizient ausgestaltet werden, damit be­­grenz­te Mittel sinnvoll ein­ge­setzt und z. B. Mitnahmeeffekte möglichst ausgeschlossen werden. In zu­­neh­menden Maße ist auch die Wirkung auf der Zeitachse von Bedeutung, insbesondere um Lock-in-Ef­fekte zu vermeiden.

Die skizzierten Themencluster können von den einzelnen Einrichtungen und mit den vorhandenen Instru­men­ten der Sy­stem­analyse bislang nicht oder nicht hinreichend untersucht werden. Da­her ist ein wich­ti­ger übergreifender Baustein von STRise die (Weiter-)Entwicklung der hierfür be­nö­tigten Me­­tho­den und Modelle und die Erfassung sozialwissenschaftlicher Größen. Sie lassen im Zu­sam­men­spiel der ver­schie­denen Disziplinen einen wesentlichen Fort­schritt erwarten.

STRise-Partner

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung
Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung
Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg